Modified: 07.08.2004

In der Isle de France, jenem Stück französischen Kernlandes, das seit der Zeit der Carpetinger die kulturelle Keimzelle des heutigen Frankreichs darstellt, wurden im 13. Jahrhundert die ersten großen gotischen Kathedralen errichtet. Chartres bietet dabei auch heute noch ein schönes Bild einer mittelalterlichen Stadt, da die Kathedrale dort nach wie vor alle umliegenden Gebäude bei weitem überragt. Der Skulpturenschmuck der Kathedrale ist einzigartig, die Kirche gehört seit 1979 zum Unesco Weltkulturerbe.

 

 
Kathedrale Notre Dame:
 

Die Kathedrale von Chartres gilt als eines der ersten Exemplare einer vollendeten gotischen Baukunst. Der Platz selbst zeugt von einer bewegten Geschichte, die erste Kirche an dieser Stelle wurde bereits im 4. Jahrhundert n. Chr. errichtet. Der älteste noch existierende Teil ist die Krypta der Kirche, sie stammt von einem Bau, der nach einem Brand im Jahre 858 unter dem Bischof Giselbert errichtet wurde. Ein weiterer Neubau wurde 1020 nach einem Brand notwendig, dieser wiederum verlor 1134 die Westfassade und die Türme durch ein Feuer. Somit wurden bis 1160 die heutige Westfassade und die beiden Türme errichtet, diese blieben bei einem erneuten Brand im Jahre 1194 n. Chr. erhalten. Der Wiederaufbau wurde diesmal mit erheblichen finanziellen Mitteln und großer Beteiligung der Bevölkerung angegangen, bereits 1220 wurde der Bau eingewöbt, die für die damalige Zeit sehr kurze Bauzeit führt auch zu einem stilistisch einheitlichen Gesamteindruck der Kathedrale. Bis 1260 war der Bau dann vollständig abgeschlossen, spätere Erweiterungen waren Ende des 13. Jahrhunderts die Sakristei und im Jahr 1326 die Kapelle St. Piat. Das Gebäude ist jedoch im Wesentlichen unverändert, nur der Dachstuhl ist nicht erhalten, er brannte im Jahr 1836 ab, ohne jedoch großen Schaden am Gebäude zu verursachen.

Ein Rundgang um die Kirche vom Westportal gegen den Uhrzeigersinn führt zunächst am Turm entlang, an dem die volkstümliche Darstellung des Esels mit der Leier angebracht ist. Von hier gelangen wir zum Portal des südlichen Querhauses, welches das Weltengericht, die Apokalypse, zum Thema der Skulpturen hat. Hier begegnen uns die Märtyrer im linken Portal, das mittlere Portal zeigt wieder Christus als Weltenrichter, diesmal auch mit der Wägung der Seelen durch den Erzengel Michael, nach welcher die Seligen in den Himmel und die Verdammten in die Hölle ziehen. Das Südportal weist baulich einige antike Anlehnungen auf wie z.B. die dreieckigen Giebelfelder, die von runden Säulen getragen werden. Am östlichen Ende befindet sich die Kapelle St. Piat, die etwas eigentümlich an den Chor angebaut ist und eine sehr hohe, fensterlose Ostfront besitzt. Am Chor selbst fallen die unzähligen Strebepfeiler auf, die die Gewichtskräfte des Daches aufnehmen und zum Fundament der Kirche ableiten.

Das Portal des nördlichen Querhauses ist wiederum mit einer großen Anzahl von Figuren geschmückt, das Mittlere ist das älteste der Querhausportale, es zeigt den Triumph der Maria mit Darstellungen von ihrem Tod, der Himmelfahrt und die gekrönte Gottesmutter an der Seite Christis. Die Seiten des Portals sind mit Figuren alttestamentarischer Gestalten besetzt, das Bild zeigt die Figuren des östlichen Gewändes: Melchisedek, Abraham mit Isaak, Moses mit der eisernen Schlange, Samuel und David. Auf der westlichen Seite stehen ihnen Jesaja, Jeremia, Simeon, Johannes der Täufer und Petrus gegenüber. Der Rundgang um die Kirche führt am Nordturm der Kathedrale vorbei wieder zum Westportal, dem ältesten Teil der Fassade.

Berühmt ist Chartres für den Figurenschmuck seiner Portale. Die Skulpturen sind z.T. in einem sehr guten Erhaltungszustand, sie bezeugen zum einen eine gewisse Mäßigung der ursprünglich recht zügellosen Darstellungen von Dämonen und anderen Monstern, wie sie zu romanischer Zeit noch üblich waren. Zum anderen zeigen sie sehr eindrucksvoll die phantastischen Vorstellungen von exotischen Wesen, die die Bildhauer offenbar noch nie im Original gesehen hatten (z.B. die Darstellungen von Löwen oder der Skorpion in der Sternzeichenkette am Nordportal). Auch das weltberühmte Jüngste Gericht im Bogenfeld über dem Eingangstor zeugt von einer neuen Zurückhaltung, keine Schrecken der Apokalypse sind dort zu sehen, sondern nur noch ein Weltenrichter, der inmitten der vier Symbole der Evangelisten [ Glossar: ELSA] thront. Interessant sind insbesondere die vielen Figurenreihen der Nordportals, wo neben den Sternzeichen auch die Sinnbilder der Monate (z.B. der zweigesichtige römische Gott Janus für den Januar) zu sehen sind.

Der Innenraum von Chartres ist nicht so spektakulär wie manche andere gotische Kathedrale. Die Pfeiler sind sehr massiv gebaut, so dass trotz der beachtlichen Höhe des Gewölbes (der Mittelschifftrakt ist 36.5m hoch) nicht der luftige Eindruck der endlosen Vertikalen erweckt wird, wie dies bei späteren gotischen Kathedralen der Fall ist. Selbst verglichen mit der Kathedrale von Soissons, die ähnliche Dimensionen aufweist, erscheint Chartres sehr massiv, sind dort die Pfeiler nur 140cm dick, so beträgt deren Durchmesser in Chartres maximal solide 370cm. Auch ist die Relation der Höhe des Hauptschiffs zur Breite nicht besonders groß, das Verhältnis beträgt etwa 2,5 zu 1 und entspricht damit noch eher den romanischen Kirchen. Zwei Besonderheiten im Innenraum der Kathedrale machen Chartres dennoch zu einem Juwel: Zum einen sind dies die vielen noch im Original erhaltenen Fenster mit ihren berühmten Glasmalereien, die zu den ältesten der farbigen Fenster gehören. Zum anderen wurde im Jahre 1514 der Baumeister Jean Texier (der bereits den Helm des Nordturms konsturiert hatte) damit beauftragt, eine Chorschranke zu errichten, die den Chor vom Chorumgang trennt. Sie enthält vierzig Nischen, die zwischen 1519 und 1714 mit plastischen Darstellungen aus dem Leben Christi und Marias besetzt wurden. Die Fotos zeigen die Nischen 11 (Beschneidung Jesu), 12 (Anbetung des Christuskindes von den drei Weisen), 13 (Jesus im Tempel) und 14 (Ermordung der unschuldigen Kinder) .


 
Literatur:
 

Chartres - Kunstführer der Kathedrale. Étienne Houvet. Editions Houvet, 2003. ISBN: 2-909575-66-7.



Links:
 

Die  Universität von Ithaca hat einige schöne  Illustrationen und Flash-Animationen zur Kathedrale von Chartres.

Mary Ann Sullivan hat einige schöne  Bilder von den Skultpuren der Kathedrale.

Jeffery Howe vom Boston College hat einige Bilder vom Inneren der Kirche auf seinen Webseiten, insbesondere auch  Fotos von den Glasmalereien.

 

 
 
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